Mit Urteilen vom 30. Januar 2015 hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden unter Vorsitz des Präsidenten Klaus Peter Frenzen entschieden, dass die Untersagung der in der Geflügelzucht vorzufindenden Praxis, wonach männliche Küken aus Legelinien getötet werden, einer spezialgesetzlichen Ermächtigungs­grundlage bedarf, die es bisher im geltenden Tierschutzgesetz nicht gibt. Klagen der Betreiber von Brütereien wurde damit stattgegeben.

Gemäß einer national wie europaweit geübten Praxis werden derzeit männliche Küken aus sogenannten Legelinien – auf die Eierproduktion spezialisierte Rassen - getötet, weil sie zur Ei­erproduktion nicht geeignet sind und gegenüber zu Mastzwecken gezüchteten Tieren eine verminderte Fleischansatzleistung aufweisen. Bundesweit betrifft dies jähr­lich ca. 50 Millionen männliche Küken. Auf Nordrhein-Westfalen entfällt ein Anteil von ca. 5,4 %.

Mit Erlass vom 26. September 2013 forderte das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucher­schutz des Landes Nordrhein-Westfalen die zuständigen Ordnungsbehörden auf, die Tötung männlicher Küken aus Legelinien im Wege einer Ordnungsverfügung zu un­tersagen. Dem kamen die nordrhein-westfälischen Aufsichtsbehörden im Dezember 2013 nach und untersagten den in NRW ansässigen Brütereien - insgesamt 12 Be­trieben -, ab dem 1. Januar 2015 die Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung ge­eigneter Küken. Hiergegen hatten 11 Brütereien geklagt.

Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden hat nun die Untersagungsverfügungen der betroffenen Kreise mit der Begründung aufgehoben, dass es angesichts des erheb­lichen Eingriffs in die Berufsfreiheit der Betreiber von Brütereien einer spezialge­setzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfe. Die tierschutzrechtliche Generalklausel in § 16a Abs. 1  Satz 1 TierSchG i. V. m. § 1 Satz 2 TierSchG reiche zur Recht­fertigung des mit dem Verbot einhergehenden Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl nicht aus. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze verpflichteten den parla­mentarischen Gesetzgeber, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der Verwaltung zu überlassen. Von der unter wortgleicher Geltung des Tier­schutzgesetzes seit Jahrzehnten sowohl im In- als auch im Ausland üblichen und nicht nur geduldeten, sondern sogar als gerechtfertigt angesehenen Tötungspraxis könne nicht allein unter Hinweis auf eine geänderte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes abgewichen werden. Dem stünden die schutzwürdigen Interessen der Brütereibetreiber aus Art. 12 Abs. 1 GG entgegen, die derzeit keine marktdeckenden und praxistauglichen Alternativen zur Tötung der männlichen Küken hätten. Die von den beklagten Kreisen angeführten alternativen Möglichkeiten (Geschlechtsbe­stimmung im Ei, Züchtung eines „Zweinutzungshuhns“, Vermarktung der männlichen Tiere im Rahmen der sog. Bruderhahn-Initiative-Deutschland oder als Stubenküken) stellten für die Brütereibetreiber derzeit keine in der Massentierhaltung praxistaug­liche oder die allgemeine Konsumentennachfrage deckende Verfahren dar, so dass die Betriebe bei einem Tötungsverbot vor dem Aus stünden. Ob demgegenüber eine gewandelte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes aus Art. 20a GG generell überwiege, bedürfe einer Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers, bei der er selbst Anlass, Zweck und Grenzen eines tierschutzrechtlichen Tötungsver­bots regeln müsse. An einer solchen Entscheidung fehle es bislang.

Daneben hätten die beklagten Kreise bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, dass eine Untersagung allein bezogen auf NRW dem angestrebten Tierschutz nur begrenzt diene und die mit der Tötungspraxis verbundene Tierschutz­problematik lediglich in andere Länder (im Bund oder der gesamten Europäischen Union) verlagere. Ferner sei die den Brütereien eingeräumte Übergangsfrist von einem Jahr unangemessen kurz. Innerhalb nur eines Jahres sei eine breite Nachfrage von Konsu­menten, die bereit wären, für Masthähne einen entsprechend ihrer längeren Mastzeit höheren Preis zu zahlen, nicht zu schaffen.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die 2. Kammer die Berufung zugelassen, die beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster eingelegt werden kann. 

(VG Minden, Urteile vom 30.01.2015 - 2 K 80/14 und 2 K 83/14 -; nicht rechtskräftig. Die Urteile können in Kürze im Volltext unter www.nrwe.de abgerufen werden.)

 

§ 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG lautet:

„Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.“

In § 1 Satz 2 TierSchG heißt es:

„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schä­den zufügen.“